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Tetraquarks im Visier

Die Sektion SPECF (Spectroscopy and Flavour)

Mesonen sind kurzlebige Teilchen, bestehend aus einem Quark und einem Antiquark. In der Natur entstehen sie zum Beispiel, wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft. Im Labor lassen sich Mesonen gezielt durch Beschleunigerexperimente erzeugen. Da sie im Wesentlichen durch die starke Wechselwirkung zusammengehalten werden, liefert ihre Untersuchung detaillierte Aufschlüsse über diese fundamentale Naturkraft. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass es neben den konventionellen Mesonen auch neuartige Teilchen gibt, die einen exotischen Quark-Inhalt besitzen.

Am Helmholtz-Institut Mainz erforscht die Sektion „Spectroscopy and Flavour” (SPECF) die Mesonen mit den Methoden der Spektroskopie: Mit Hilfe von Beschleunigern erzeugen sie energetische Anregungszustände der Teilchen, um sie mit Detektoren genau zu analysieren. Im Vordergrund der Aktivitäten stehen die künftigen Experimente am PANDA-Detektor, der am neuen Beschleunigerkomplex FAIR am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt entsteht. 

 

Die Forscher interessieren sich unter anderem für das Charmonium – ein gebundener Zustand aus einem Charm- und einem Anticharm-Quark. Es besitzt etwa die dreifache Masse des Wasserstoffatoms, ist jedoch überaus kurzlebig und zerfällt unmittelbar nach seiner Produktion wieder. Ähnlich wie sich das Elektron in einem Wasserstoffatom auf unterschiedliche Energieniveaus anregen lässt, gibt es auch beim Charmonium angeregte Zustände der beiden Bindungspartner Quark und Antiquark. Diese Zustände lassen sich in Beschleunigern erzeugen und gelten als eigenständige Teilchen.

 

Besonders interessant sind Zustände oberhalb einer gewissen Energieschwelle: Jenseits dieser „Open-Charm“-Schwelle werden massereiche Teilchen erzeugt, die dann in andere Mesonen zerfallen, bestehend aus einem schweren Charm- und einem leichten Up- oder Down-Quark. Seit einiger Zeit werden vermehrt Zustände oberhalb der Open-Charm-Schwelle gefunden. Das Bemerkenswerte an diesen neuen Teilchen: Zum Großteil passen sie überhaupt nicht zu den Vorhersagen der bisherigen theoretischen Modelle. Es existieren überwältigende Hinweise dafür, dass es sich bei einigen der Teilchen um solche exotische Zustände aus vier Quarks handeln muss, sogenannte Tetraquarks, die aus zwei Quarks und zwei Anti-Quarks bestehen. 

 

Deshalb verfolgen die Physiker der Sektion SPECF ein ehrgeiziges Ziel: Mit ihren Experimenten wollen sie ein quantitatives Verständnis der Quark-Zusammensetzung sowie der den Zerfallseigenschaften von solchen Tetraquark-Zuständen erzielen. Dies soll dazu beitragen, die Quark-Wechselwirkung bei kleinen Energien auf Grundlage der Quantenchromodynamik (QCD) quantitativ beschreiben zu können. Das ist deswegen anspruchsvoll, weil die Quarks in den Teilchen relativ weit voneinander entfernt sind, was eine exakte Berechnung schwierig macht. Hier verspricht die präzise Analyse von energiereichen Charmonium-Zuständen sowie von Tetraquarks wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung der Theorie. 

Bislang beteiligt sich die Sektion an den Experimenten an BESIII in Peking, wo mehrere exotische Tetraquark-Zustände gefunden wurden. Zudem gibt es bereits Hinweise, dass manche dieser Zustände in andere zerfallen können. Allerdings ist eine abschließende theoretische Interpretation auf der Basis der bisherigen Messwerte noch nicht möglich. Eindeutige Informationen zum Aufbau der exotischen Tetraquark-Zustände soll der PANDA-Detektor bei FAIR liefern, den die HIM-Forscher derzeit mit aufbauen und der um das Jahr 2025 seinen Betrieb aufnehmen soll. Der im Bau befindliche Beschleunigerkomplex FAIR wird Tetraquarks und weitere exotische Teilchenzustände deutlich effektiver erzeugen können als bisherige Anlagen. PANDA wird diese dann präzise analysieren – in der Hoffnung, dass sich dabei neue, bislang unentdeckte Teilchen zeigen. 

 

FAIR erzeugt schnelle Antiprotonen und schießt sie auf ein Target aus Wasserstoff. Dabei annihilieren Protonen und Antiprotonen, wobei sich exotische Teilchen bilden, zum Beispiel auch in ganz seltenen Fällen Tetraquarks. Innerhalb winzigster Sekundenbruchteile zerfallen diese in andere Teilchen, die sich dann mit den PANDA-Subdetektorsystemen nachweisen und präzise vermessen lassen. Anschließend erfolgt eine aufwändige Rekonstruktion per Computer, bei der die Physiker – ähnlich wie bei einem riesigen Puzzlespiel – die Zerfallsprodukte zum ursprünglich vorhandenen Teilchen „zusammensetzen“. 

 

Die Sektion SPECF ist an der Entwicklung mehrerer Detektorkomponenten beteiligt. So arbeitet sie am Trigger mit – einem extrem schnellen elektronischen Filter, der in Echtzeit aus der ungeheuren Menge der Kollisionsdaten jene herausfischt, die von physikalischer Relevanz sind und die es verdienen, abgespeichert zu werden –  die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Außerdem sind die Fachleute für die Entwicklung des Luminositäts-Detektors zuständig. Dieser befindet sich rund zehn Meter vom Wechselwirkungspunkt entfernt und erfasst gewissermaßen die Trefferrate, mit der Antiprotonen und Protonen kollidieren – eine wichtige Eingangsgröße für die Analysen. Ferner ist das HIM an der Elektronikentwicklung für den DIRC-Detektor beteiligt. Dieser erfasst sogenannte Cherenkov-Strahlung, liefert dadurch Hinweise auf die Geschwindigkeit eines Teilchens und trägt damit zu dessen Identifikation bei. 

 

Zusätzlich wird sich die Sektion SPECF auch der Vermessung exotischer Kernzustände bei PANDA widmen. Dazu sollen ein oder sogar zwei Protonen oder Neutronen, aus denen alle konventionellen Atomkerne der uns umgebenden Materie bestehen, durch ein Teilchen ersetzt werden, das ein Strange-Quark beinhaltet – es entsteht ein sogenannter Hyperkern. Diese „strange“ Einbettung in den Kern soll neue Rückschlüsse darüber ermöglichen, wie Protonen und Neutronen im Detail zusammenhaften. Um solche Hyperkern-Experimente bei PANDA durchführen zu können, muss die Wechselwirkungszone verändert und ein Detektor aus hochreinem Germanium eingesetzt werden, woran sich die Forscher der Sektion SPECF beteiligen.

Prof. Dr. Achim Denig

Helmholtz Institut Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
Raum 02-80

 

Telefon: +49 6131 39-25830
E-Mail: denig(at)kph.uni-mainz.de