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Rechnen auf dem Gitter

Die Sektion THFL (Theory Floor)

Die Quantenchromodynamik (QCD) gilt als eine höchst leistungsfähige Theorie zur Beschreibung der starken Wechselwirkung, also jener Kraft, die zwischen den Quarks wirkt. Allerdings ist es nach wie vor eine große Herausforderung, aus den Grundgleichungen dieser Theorie bestimmte quantitative Größen zu berechnen, etwa die Massen und Struktureigenschaften von Mesonen und Baryonen. Die Sektion THFL (Theory Floor) des Helmholtz-Instituts Mainz entwickelt und nutzt dafür aufwändige Computersimulationen.

 

Beschleunigerexperimente, wie sie von der BESIII–Kollaboration in Peking durchführt werden, an dem auch das HIM beteiligt ist, produzieren und analysieren exotische Teilchen bzw. Teilchenzustände – insbesondere Mesonen (Teilchen bestehend aus zwei Quarks) und Baryonen (Systeme zusammengesetzt aus drei Quarks). Ob sich jedoch die Eigenschaften dieser experimentell gut untersuchten Teilchen mit den derzeit bekannten Formeln und Gesetzen berechnen lassen, ist eine offene Frage: Taugt die QCD in diesem Bereich für quantitative Voraussagen? Ist sie so tief verstanden, dass sie das reichhaltige Spektrum an den beobachteten Teilchen präzise zu erklären vermag?

 

Um diese Fragen zu beantworten, muss man die Quantenchromodynamik im niederenergetischen Bereich anwenden. Das jedoch ist überaus schwierig, denn anders als im hochenergetischen Regime lassen sich hier keine Näherungsmethoden anwenden. Deshalb sind die Experten auf aufwändige numerische Simulationen angewiesen, die ausschließlich auf Großrechnern laufen.

 

Dazu nutzen die HIM-Theoretiker das Verfahren der Gitter-QCD, in der die kontinuierliche Raumzeit durch ein diskretes Punktgitter ersetzt wird. Hier existieren die Felder der Quarks und Gluonen nur noch an den Gitterpunkten sowie deren Verbindungen. Auf diese Weise wird es überhaupt erst möglich, die Grundgleichungen der QCD per Computer zu lösen.

 

Dennoch sind die Berechnungen so umfangreich, dass sie selbst auf einem Superrechner Monate dauern können. Denn um vom diskreten Gitter auf das reale Kontinuum schließen zu können, müssen die Forscher gewisse Parameterbereiche abdecken und die Simulationen mehrfach wiederholen, wobei sie jeweils verschiedene Werte für die Gitterkonstante sowie die Quark-Massen einsetzen. In gewisser Hinsicht ähnelt die Methodik den Computermodellen der Klimaforscher: Auch hier arbeiten die Experten mit Gitternetzmodellen, die sie in verschiedenen Varianten laufen lassen und dadurch ein Ensemble an Resultaten erhalten.

 

Für ihre Berechnungen können die HIM-Theoretiker auf eine beeindruckende Hardware zurückgreifen. Insbesondere steht ihnen der institutseigene Rechnercluster CLOVER zur Verfügung. Seine 5120 Prozessorkerne bringen es auf eine Rechenleistung von 120 Teraflops, bei einem nutzbaren Hauptspeicher von 10 Terabyte. Derzeit wird die Kapazität auf rund 10.000 Prozessoren verdoppelt.

 

Ferner haben die Fachleute Zugriff auf den MOGON II-Rechner in Mainz, an dem das HIM beteiligt ist. MOGON II ist der derzeit schnellste Hochleistungsrechner an einer deutschen Universität und zählt zu den 100 leistungsfähigsten Supercomputern der Welt. Rund 49.000 Prozessorkerne liefern eine Rechenleistung von zwei Petaflops, die Speicher bieten eine Kapazität von 7,5 Petabyte.

Mit ihren Rechnermodellen bestimmen die Theoretiker des HIM die Energieniveaus und Zerfallsraten von Teilchenzuständen. Dabei untersuchen sie unter anderem die Bindungszustände von Gebilden, die aus mehr als drei Quarks bestehen – zum Beispiel sog. Hexaquarks bzw. Dibaryonen. Diese setzen sich aus insgesamt sechs Quarks zusammen und bilden das einfachste System, will man Kernmaterie auf der Basis der QCD theoretisch verstehen. Auf erste experimentelle Hinweise für die Existenz solcher Hexaquarks scheint die Fachwelt bereits gestoßen zu sein.

 

Ebenso wichtige ist das Studium der Struktur der Hadronen: Wie verteilen sich die Quarks und die Gluonen in ihrem Inneren, wie zum Beispiel ist die elektrische und die magnetische Ladung im Proton verteilt? Um das herauszufinden, berechnen die HIM-Theoretiker mit Hilfe der Gitter-QCD sogenannte Formfaktoren. Ihre Ergebnisse gleichen sie unter anderem mit den Messwerten des Mainzer MAMI-Beschleunigers ab.

 

Außerdem studieren die Physiker der Sektion THFL, wie sich Materie unter extremen Bedingungen verhält. So dürfte im frühen Kosmos ein extrem dichter und heißer Materiezustand vorgeherrscht haben – das Quark-Gluon-Plasma. Mit Hilfe der Gitter-QCD lässt sich berechnen, wie hoch die elektrische Leitfähigkeit in diesem Plasma ist und in welchen Raten bestimmten Teilchen darin erzeugt werden. Ihre Resultate gleichen die HIM-Theoretiker mit experimentellen Daten ab, etwa vom US-Beschleuniger RHIC oder vom LHC am CERN.

 

Eine weitere Größe, die die Theoretiker per Gitter-QCD ins Visier nehmen, ist das anomale magnetische Moment des Myons. Das Myon – eine Art schwerer Bruder des Elektrons – scheint in Beschleunigerexperimenten eine bemerkenswerte Abweichung von den Voraussagen des Standardmodells der Teilchenphysik zu zeigen. Sollte sich diese Diskrepanz auch in künftigen, weitaus präziseren Experimenten zeigen, könnte sich eine Bruchstelle in der Theorie auftun – ein aufregender Hinweis auf eine Physik jenseits des Standardmodells. Die HIM-Theoretiker versuchen, die sog. hadronischen Korrekturen möglichst genau zu berechnen – eine wichtige Voraussetzung für den präzisen Vergleich zwischen den Messwerten und den Vorhersagen der Theorie.

 

Schließlich befasst sich die Sektion auch mit der Physik leichter Kerne. Hier lässt sich die QCD nicht mehr anwenden. Stattdessen versuchen sich die Fachleute mit Hilfe ausgefeilter analytischer Methoden an der Entwicklung und Verfeinerung sog. effektiver Theorien, die sich aus bestimmten Grenzfällen der Quantenchromodynamik ergeben. Basis dieser effektiven Theorien sind gewisse Symmetrieprinzipien, mit denen sich die zwischen den Kernteilchen bestehenden Wechselwirkungen klassifizieren lassen. Das Ziel der Arbeiten ist eine möglichst genaue Voraussage über die Bindungsenergien von leichten Atomkernen zu erhalten.

 

Prof. Dr. Hartmut Wittig

Helmholtz Institut Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
Raum 2-100

 

Telefon: +49 6131 39-26808
E-Mail: wittig(at)kph.uni-mainz.de