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Experimente mit superschweren Elementen

Die Sektion SHE (SuperHeavy Elements)

Ab einer bestimmten Größe werden Atomkerne zunehmend instabil. Das schwerste in der Natur vorkommende Element ist Uran mit der Ordnungszahl 92. Noch schwerere Elemente lassen sich künstlich herstellen – zum Teil in Kernreaktoren, zum Teil mit Beschleunigern. Am Helmholtz-Institut Mainz befasst sich die Sektion SHE (SuperHeavy Elements) mit diesen superschweren Elementen. Durch deren Analyse lassen sich sowohl die Modelle der Kernphysik als auch die Theorien der Chemie prüfen und verbessern.

 

 

Die HIM-Forscher erzeugen die superschweren Kerne an Beschleunigeranlagen wie dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt. Dort schießt ein Beschleuniger mittelschwere Ionen etwa aus Zink oder Calcium auf ein Target, das zum Beispiel aus Blei besteht. Manche der Projektilkerne treffen so auf einen Targetkern, dass beide miteinander zu einem superschweren Element verschmelzen. Dieses lässt sich mit dem Geschwindigkeitsfilter SHIP oder dem gasgefüllten Separator TASCA von anderen Teilchen trennen. Um die kurzlebigen Kerne untersuchen zu können, werden sie entweder direkt in einen geeigneten Detektor implantiert, der ihren radioaktiven Zerfall misst, oder müssen für weitere Untersuchungen abgebremst werden. Als „Bremse“ fungiert eine mit Helium oder Argon gefüllte Zelle. Danach kann man die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Kerne unter die Lupe nehmen: Sie lassen sich beispielsweise in Fallen speichern, mit Lasern beleuchten oder auf ihr chemisches Bindungsverhalten an bestimmte Stoffe untersuchen.

 

Eigenschaften superschwerer Elemente

Ein weiterer Schwerpunkt der Sektion SHE ist die Untersuchung der chemischen Eigenschaften superschwere Elemente. Bei schweren Kernen beeinflusst die große Protonenzahl die Chemie eines Elements ganz maßgeblich. Der Grund: Die Elektronen auf den kernnahen Orbitalen der Atomhülle „spüren“ die überaus starke positive Ladung des protonenreichen Kerns und werden auf bis zu 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.

 

Bei den physikalischen Eigenschaften geht es vor allem um die Frage, warum bestimmte Isotope stabiler sind als andere. Die Fachwelt vermutet, dass manche Varianten der (noch hypothetischen) Elemente 120 und 126 ungewöhnlich stabil sein könnten – einige sogar mit Lebensdauern von Jahren. In einer Landkarte der superschweren Atomkerne würden diese Isotope wie eine Insel aus einem Ozean herausragen – Fachleute sprechen von der „Insel der Stabilität“.

 

Die Experimente verraten, was passiert, wenn man zum Beispiel immer mehr Neutronen in einen Kern packt und sich dadurch die Balance zwischen der anziehenden starken Wechselwirkung und der abstoßenden elektromagnetischen Kraft der Protonen ändert: Ein paar Neutronen mehr können die Lebensdauer stark verlängern – was darauf hindeutet, dass man sich der Insel der Stabilität nähert. Zwar gibt es heute theoretische Modelle, die dieses Geschehen qualitativ beschreiben. Auf der fundamentalen Ebene aber herrscht nach wie vor Erklärungsbedarf – bis hin zur fernen Vision, Atomkerne mit den Grundgesetzen der starken Wechselwirkung beschreiben zu können. Die Analyse der superschweren Elemente hilft, die heutige Modelle zu überprüfen und künftige, verfeinerte Theorien zu entwickeln.

 

Die Fachleute der Sektion SHE untersuchen die Kerne mit verschiedenen Methoden, zum Beispiel der Laserspektroskopie. Um zum Beispiel Nobelium (Element 102) zu analysieren, bremsen sie die Kerne nach ihrer Erzeugung in einer mit Argon gefüllten Kammer ab. Danach lässt sich das Nobelium mit Laserlicht elektronisch anregen und präzise vermessen – wobei das Verhalten der Elektronen detaillierten Aufschluss über die Verhältnisse im Atomkern gibt. Anschließend erfasst einen Detektor den radioaktiven Zerfall des instabilen Kerns, dessen Halbwertszeit je nach Isotop von wenigen Sekunden bis einigen Minuten reicht. Das Resultat: Das Nobelium-Isotop mit 152 Neutronen verfügt über eine abgeschlossene Neutronenschale, verfügt über relativ große Bindungsenergie und ist deshalb vergleichsweise stabil.

 

Bei anderen Experimenten werden die abgebremsten Ionen in Teilchenfallen eingeschlossen. Diese Penning-Fallen können mit starken elektromagnetischen Feldern einzelne Ionen speichern. In der Falle vollführen die superschweren Ionen im Magnetfeld eine Kreisbewegung. Aus der Bewegungsfrequenz lässt sich auf die Masse schließen, woraus sich die Bindungsenergie des Atomkerns bestimmen lässt. Die Forscher vergleichen Isotope mit verschiedenen Neutronenzahlen miteinander und können dadurch herausfinden, wie sich die Bindungsenergie in Abhängigkeit von der Neutronen- und Protonenzahl verändert.

 

Dadurch lässt sich unter anderem abschätzen, ob sich superschwere Elemente beim Zusammenprall zweier Neutronensterne bilden können – schließlich stehen hier extrem viele Neutronen für die Nukleosynthese zur Verfügung. Aktuelle Beobachtungen, verbunden mit der Detektion der Gravitationswelle einer Neutronenstern-Kollision, zeigen zumindest, dass bei der Kollision Gold und Platin entstehen.

Dabei macht sich die relativistische Massenzunahme bemerkbar. Die Elektronen gewinnen buchstäblich an Gewicht und verringern ihre Bewegungsradien um den Atomkern. Das wiederum beeinflusst Form und Größe der äußeren Elektronenorbitale, welche die chemischen Eigenschaften bestimmen. Solche relativistischen Effekte sorgen unter anderem dafür, dass Gold seine typische Farbe besitzt und dass Quecksilber bei Raumtemperatur flüssig ist statt fest.

 

 

Bei den superschweren Elementen sind diese relativistischen Effekte noch ausgeprägter – weshalb sich ihre detaillierte Analyse lohnt. Die HIM-Forscher untersuchen beispielsweise die chemischen Eigenschaften von Flerovium, dem Element 114. Laut Periodensystem sollte es ähnliche chemische Eigenschaften wie Blei besitzen, schließlich zeigt es die gleiche Elektronenkonfiguration. Allerdings könnten relativistische Effekte dazu führen, dass sich Element 114 nicht wie ein Schwermetall, sondern wie ein Edelgas verhält. Um die Frage zu klären, braucht es ein Experiment. Die Herausforderung: Pro Tag lassen sich per Beschleuniger nur einige wenige Fleroviumatome erzeugen – die Experten müssen Chemie mit einem einzigen Atom betreiben. Zudem leben die Isotope nur etwa eine Sekunde, entsprechend schnell muss ein Versuch über die Bühne gehen.

 

Dazu bremsen die Wissenschaftler das Fleroviumatom ab und lassen es in einen dünnen, 30 Zentimeter langen Kanal fliegen. Der mit Gold beschichtete Kanal ist vorne warm und hinten kalt. Das Kalkül: Verhält sich Element 114 wie Blei, sollte es bereits im vorderen Bereich an der Innenwand des Kanals haften bleiben und mit dem Gold eine Metallbindung eingehen. Ähnelt es dagegen einem Edelgas, dürfte es mit dem Gold am Anfang der Kammer keine Bindung eingehen, sondern bis zum minus 170 Grad kalten Ende des Kanals fliegen und dort durch Van-der-Waals-Kräfte adsorbiert werden.

 

Entlang des gesamten Kanals sind Alpha-Detektoren platziert, die den Zerfall des Fleroviumkerns registrieren und verraten, ob es vorne klebengeblieben oder hinten angekommen ist. Bislang kamen verschiedene Forscherteams zu unterschiedlichen Ergebnissen: Eine Arbeitsgruppe aus der Schweiz identifizierte Element 114 als Edelgas – ein Verhalten, das die Mainzer Forscher mit ihren ersten Messungen nicht bestätigen konnten. Seitdem laufen weitere, genauere Experimente, die nun ausgewertet werden.

 

Außerdem synthetisieren die HIM-Forscher sogar Moleküle mit superschweren Elementen – zum Beispiel Verbindungen mit Kohlenmonoxid, sog. Carbonyl-Komplexe. So gelang vor einiger Zeit die Synthese eines Seaborgium-Carbonyl-Komplexes, bei dem sich das Element 106 mit sechs Kohlenmonoxidmolekülen verbindet. Anschließend prüften die Fachleute, wie das kurzlebige Molekül mit einer Quarzoberfläche wechselwirkt. Die Analyse der entsprechenden Bindungsstärken lässt Rückschlüsse auf die chemische Stabilität der Komplexe zu und erlaubt einen Einblick in die chemischen Eigenschaften der schwersten Elemente. Dadurch tragen die Experimente dazu bei, die derzeitigen Modelle der theoretischen Chemie zu überprüfen.

 

Die nukleare Uhr: nuClock

Erfolgreich gestaltet sich die HIM-Aktivitäten im Rahmen des EU-Projekts „nuClock“, in dem die Sektion als assoziierter Partner mitwirkt. Hier geht es um die Entwicklung der Grundlagen für eine „nukleare“ Uhr, die das Potenzial besitzt, präziser als die heutigen Atomuhren zu sein. Beim Isotop Thorium-229 gibt es einen langlebigen angeregten Zustand bei einer ungewöhnlich niedrigen Energie von nur wenigen Elektronenvolt – eine Größenordnung, wie sie bei elektronischen Übergängen in der Atomhülle auftritt. Daraus leitet sich die Idee ab, dass sich statt wie üblich der Atomhülle der Thorium-229-Kern für die Realisierung des Zeitstandards heranziehen lässt. Der Vorteil: Der Kern ist durch die Atomhülle sehr gut gegen äußere Störungen abgeschirmt, weshalb eine Nuklearuhr deutlich genauer „ticken“ könnte als eine Atomuhr.

 

Vor einiger Zeit gelang es dem nuClock-Team, diesen niederenergetischen Zustand im Thorium direkt nachzuweisen – ein Resultat, das es 2016 in die Top-Ten-Liste des British Institute of Physics (IOP) schaffte. Das HIM hatte die Thorium-229-Quelle für diese Experimente hergestellt. Sie basiert auf dünnen, homogenen Schichten aus Uran-233. Das Uran zerfällt per Alpha-Zerfall in Thorium 229, wobei unter anderem angeregte Kerne entstehen. Diese werden beim Uranzerfall durch den Rückstoß aus der Schicht herausgeschleudert und stehen für die Analysen zur Verfügung. Weitergehende Arbeiten fokussieren sich nun auf die Charakterisierung der Eigenschaften des angeregten Thorium-Zustands.

Prof. Dr. Christoph E. Düllmann

Helmholtz-Institut Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
Raum: 02-119
Telefon: +49 6131 39-25852
E-Mail: duellmann (at) uni-mainz.de

 

Mainz, Fachbereich Chemie - TRIGA Site

 

 

Darmstadt, GSI - Kernchemie
Raum: GSI SB3.3.173
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Prof. Dr. Michael Block

Helmholtz-Institut Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
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Telefon: +49 6131 39-29683
E-Mail: block(at)uni-mainz.de

 

 

 

Darmstadt, GSI
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