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Innovative Konzepte für bessere Beschleuniger

Die Sektion ACID (Accelerator Design and Integrated Detectors)

Beschleuniger und Detektoren zählen zu den zentralen Werkszeugen der Teilchen-, Hadronen- und Kernphysik. Ohne sie wäre es nicht möglich, immer tiefer in den Mikrokosmos vorzudringen, um beispielweise immer neue Details über die starke Wechselwirkung zutage zu fördern. Bei der Konstruktion von Beschleunigern und Detektoren gehen die Experten bis an die Grenzen des technologisch Machbaren. Statt auf Standardbauteile zurückgreifen zu können, müssen sie in vielen Fällen ganz neue Komponenten planen, entwickeln und realisieren.

Am Helmholtz-Institut Mainz arbeitet die Sektion ACID (Accelerator Design and Integrated Detectors) an solchen innovativen Beschleunigertechniken. In enger Abstimmung mit anderen Sektionen des HIM entwirft sie Konzepte, die deutlich bessere und genauere Experimente ermöglichen werden. Im Fokus stehen dabei zwei Projekte: Ein Team entwickelt einen neuartigen supraleitenden Beschleuniger, mit dem sich superschwere chemische Elemente künftig deutlich effektiver erzeugen lassen als bislang. Eine andere Gruppe arbeitet an einer Ausbaustufe des künftigen FAIR-Beschleunigers HESR in Darmstadt. Sie soll dafür sorgen, dass die neue Anlage eines Tages deutlich mehr Teilchenkollisionen generieren kann – und damit die Aufnahme von mehr Messdaten erlaubt.

 

 

Ionenbeschleuniger im Dauerlauf (ACID I)

Um superschwere chemische Elemente zu erzeugen, schießen Beschleuniger mittelschwere Ionen aus Kalzium, Titan oder Chrom auf eine Art Zielscheibe, das sogenannte Target. Beim Aufprall können manche der beschleunigten Ionen mit Atomkernen des Targets zu extrem schweren Elementen verschmelzen, die sich anschließend mit speziellen Detektoren analysieren lassen. Bislang gibt es am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt Beschleuniger, die gepulste Strahlen liefern, d.h. solche, die eine Reihe von Salven „feuern“. Die Sektion ACID arbeitet an einer neuen Beschleunigertechnologie, die einen kontinuierlichen, also ununterbrochenen Ionenstrahl liefert. Damit soll die Herstellung superschwerer Elemente künftig deutlich effizienter ablaufen als bislang. 

 

Eine Schwierigkeit bei der Erzeugung superschwerer Elemente im Labor besteht darin, dass die Reaktionen zwischen den schnellen Ionen und den Atomkernen des Targets nur sehr selten passieren. Um dennoch zu einer messbaren Ausbeute zu kommen, müssen die Physiker möglichst viele Ionen beschleunigen und mit der notwendigen Reaktionsbedingung am Target abliefern. Bei der bisher verwendeten Beschleunigertechnologie sind die Ionen zu kurze Pulsen gebündelt. Das hat für das Targetmaterial einen Nachteil: Durch die Pulse wird es kurzzeitig stark belastet, im Extremfall droht sogar dessen Zerstörung.

Günstiger wäre eine Belastung, bei der die Ionen nicht in heftigen Schüben auf die Zielscheibe einprasseln, sondern stetig und kontinuierlich im sogenannten Dauerstrich-Modus. In gewisser Hinsicht ähnelt die Situation einem Wasserglas, das man bis obenhin füllen möchte: Versucht man es mit zu viel Schwung, dürfte ein Teil verschüttet werden. Erfolgversprechender ist es, gießt man das Wasser als gleichmäßigen, nicht allzu starken Strahl ins Glas.

 

Allerdings lässt sich so ein Dauerstrich-Modus mit herkömmlichen Beschleunigertechniken nur schwer erreichen. Deshalb arbeiten die HIM-Physiker an einem neuen Ansatz: Sie entwickeln Hochfrequenz-Kavitäten (Beschleunigungsröhren), die auf der Supraleitung basieren. Bei der Supraleitung kann elektrischer Strom verlustfrei und ohne Widerstand fließen – vorausgesetzt, die Leiter sind mit Hilfe von Flüssighelium auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts bei minus 273 Grad Celsius gekühlt.

 

Zum einen lassen sich mit diesen supraleitenden Kavitäten sehr hohe Beschleunigungsgradienten erreichen, d.h. die Ionen werden auf kurzer Strecke stark beschleunigt. Zum anderen zeigen sie kaum Verluste, verbrauchen also weniger Energie als konventionelle Kavitäten. Diese beiden Vorteile wiegen den Nachteil – die aufwändige Heliumkühlung mehr als auf.

 

Zwar gibt es auf der Welt bereits supraleitende Beschleuniger, etwa den Elektronenbeschleuniger des Röntgenlasers European XFEL in Hamburg, allerdings müssen die Kavitäten für den geplanten Dauerstrich-Beschleuniger für schwere Ionen in Darmstadt ungleich komplexer geformt sein als bei den bisherigen Anlagen: Im Gegensatz zu den relativ einfach geformten XFEL-Kavitäten verfügen die aus dem Metall Niob gefertigten Schwerionen-Kavitäten aus Mainz über ein komplexes Innenleben, bestehend aus mehreren kreuzförmigen Anordnungen mit integrierten Driftröhren.

Außerdem sind die Kavitäten nicht alle identisch. Sie werden individuell verschieden gefertigt. Der Grund: Die Anlage soll keine leichtgewichtigen Elektronen beschleunigen, die sich alle nahezu mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, sondern sehr viel schwerere Ionen. Am Anfang des Beschleunigers sind diese sehr langsam und gewinnen erst allmählich an Fahrt. Die Folge: Jede Kavität muss individuell an einen Geschwindigkeitsbereich angepasst werden, unterscheidet sich also von den anderen. Insgesamt zwölf Kavitäten sind für den neuen Beschleuniger vorgesehen. Er soll eine Gesamtlänge von etwa 15 Metern haben und die Ionen maximal bis auf knapp zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen können. Da Experimente bei unterschiedlichen Energien geplant sind, muss der Beschleuniger eine hohe Flexibilität aufweisen.

 

Die Herausforderungen bei der Entwicklung sind groß: Die HIM-Experten müssen die komplexe mechanische Struktur mit hoher Genauigkeit fertigen – die Positionierung der Elemente soll bis auf wenige Mikrometer genau erfolgen. Und: Bei derart komplexen Strukturen ist noch zu untersuchen, wie sich die Supraleitung bei einem hohen Eintrag der Hochfrequenz-Leistung im Strahlbetrieb verhält.

 

Gemeinsam mit einer Spezialfirma haben die HIM-Forscher die erste Kavität des Beschleunigers gebaut. Die anschließende Erprobung an einem Teststand verlief erfolgreich: Die angepeilten Beschleunigungsgradienten wurden nicht nur erreicht, sondern deutlich übertroffen. Dies kann bei der Auslegung der weiteren Kavitäten berücksichtigt werden – mit der Folge, dass der Beschleuniger noch kompakter gebaut werden kann als ursprünglich vorgesehen. 2017 bestand die Kavität den ersten „richtigen“ Strahltest am GSI Helmholtzzentrum in Darmstadt.

 

Als nächstes werden die Physiker ein komplettes Kryomodul bestücken, bestehend aus drei Kavitäten sowie einer Vorrichtung zum Fokussieren der Ionenstrahlen. Dazu steht im Reinraum des HIM eine komplette Montage- und Präparationsstraße inklusive einer Hochdruckspüle zur Oberflächenbehandlung der Kavitäten zur Verfügung. 2019 soll das Modul fertig und testbereit sein. Die Arbeiten werden durch Kooperationspartner insbesondere der Universität Frankfurt unterstützt, aber auch durch Forscherteams aus Russland, Australien und den USA.

Nach einem erfolgreichen Test des Kryomoduls ließe sich der Bau des gesamten Beschleunigers in Angriff nehmen, er würde aus insgesamt vier Modulen bestehen. 2024 könnte die Anlage in Darmstadt fertig sein, wobei sie dort auch einige der kommenden FAIR-Experimente bedienen könnte. Am HIM in Mainz würde vor allem eine Sektion vom neuen Dauerstrich-Beschleuniger profitieren: Mit seiner Hilfe könnten die Forscher der Sektion SHE (SuperHeavy Elements) superschwere chemische Elemente deutlich effektiver herstellen und untersuchen als bislang.

 

Elektronenkühlung für präzisere Daten mit PANDA (ACID II)

 

Der Hochenergiespeicherring HESR wird eines der Kernstücke des in Bau befindlichen Beschleunigerkomplexes FAIR in Darmstadt sein: Er beschleunigt und speichert Ionen, insbesondere Antiprotonen. Die schnellen Antiteilchen erlauben neuartige, höchst vielversprechende Experimente am geplanten PANDA-Detektor, der in den Strahlengang des HESR-Speicherrings eingesetzt sein wird. Damit die Experimente auf lange Sicht möglichst effektiv ablaufen können, sind einige technische Hürden zu meistern. Die Sektion ACID arbeitet an einer dieser Herausforderungen: Sie entwickelt eine neue, hocheffiziente Kühlungstechnik für den Ionenstrahl.

 

Bei den PANDA-Experimenten trifft der gespeicherte Antiprotonenstrahl im HESR-Ring bei jedem Umlauf auf ein Target – eine „Zielscheibe“ bestehend aus einem Strahl von winzigen gefrorenen Wasserstoffpartikeln, sogenannten Pellets. Dabei entstehen neue, exotische Teilchenzustände, die PANDA im Detail vermessen soll. Pro Sekunde wird das Target rund eine Million Mal vom Strahl durchquert. Jedes Mal prallen dabei nur wenige Antiprotonen im Strahl auf die Protonen im Target. Die meisten Ionen durchkreuzen das Target nur, verbleiben im Ring und drehen weiter ihre Runden.

 

Das Problem: Bei diesem häufigen Durchkreuzen werden die Antiprotonen vom Target ein wenig abgelenkt – manche nach rechts oder links, andere nach oben oder unten. Die Folge: Mit der Zeit vergrößert sich der Querschnitt des Strahls, er wird regelrecht aufgespreizt. Der Ionenstrahl heizt sich also durch die Wechselwirkung mit dem Target allmählich auf, was es schwieriger macht, ihn zu kontrollieren. Auf die Dauer wird so der mühsam hergestellte Antiprotonenstrahl verlorengehen, was das Experiment ungemein erschwert.

 

Um das zu verhindern, wollen die HIM-Physiker den Strahl kühlen und ihn dadurch auf einen engen Strahlquerschnitt zu begrenzen. Dazu werden sie den „heißen“ Antiprotonenstrahl mit einem deutlich kühleren Medium überlagern – einem hochintensiven Elektronenstrahl. Er soll die die Hitze aus dem Ionenstrahl abführen und seinen Durchmesser auf einen Bruchteil verkleinern.

 

Im Detail soll das so funktionieren: Auf einer der beiden geraden Abschnitte des rennbahnförmigen HESR-Rings lassen die Physiker beide Strahlen für eine gewisse Strecke parallel nebeneinander herfliegen, wobei sie die Elektronen mit Hilfe von Magnetfeldern ein- und wieder ausleiten. Beim Parallelflug kommt es zwangsläufig zu Stößen zwischen den kalten Elektronen und den warmen Ionen. Bei diesen Stößen übertragen die Antiprotonen einen Teil ihrer Bewegungsenergie auf die Elektronen – erstere werden langsamer, letztere schneller.

 

Dabei stellen sich mehrere Herausforderungen: Unter anderem muss der Elektronenstrahl kontinuierlich und hochintensiv sein: Pro Sekunde sollen rund 6 × 1018 Elektronen parallel zum Ionenstrahl fliegen, das entspricht einem Strom im Ampere-Bereich. Die Elektronen sollen eine kinetische Energie von acht Megaelektronenvolt besitzen, was einer Leistung von acht Megawatt entspricht. Die Erzeugung einer solchen Leistung bei einer Spannung von acht Megavolt liegt auf absehbare Zeit außerhalb der technischen Möglichkeiten und wäre auch aus ökologischen Gesichtspunkten aufgrund des enormen Energiebedarfs zweifelhaft. Daher soll mehr als 99 Prozent der kinetischen Energie  durch Abbremsung der Elektronen  wieder zurückgewonnen werden, indem sie das Beschleunigungsfeld in umgekehrter Richtung durchlaufen. Für diese Energierückgewinnung braucht es eine extrem genaue Kontrolle über den Elektronenstrahl – schließlich sind die Leistungen so groß, dass ein fehlgeleiteter Strahl Schäden am Beschleuniger erzeugen könnte. An dieser präzisen Steuerung arbeiten die HIM-Forscher derzeit.

 

Eine andere Herausforderung ist die Bündelung des Elektronenstrahls. Das sollen spezielle Magnetlinsen übernehmen, untergebracht in der elektrostatischen Beschleunigungsstrecke. Die Stromversorgung dieser Linsen ist ein heikles Unterfangen, eine Versorgung durch Kabel funktioniert in einer derartigen Hochspannungs-Umgebung nicht. Deshalb arbeiten die HIM-Wissenschaftler gemeinsam mit Experten des russischen Budker-Instituts an einer ungewöhnlichen Lösung: Die Energie für den Betrieb der Magnetlinsen und der Elektronenquelle soll aus speziellen Turbinengeneratoren kommen, angetrieben durch komprimiertes Gas. Dieses Gas nämlich lässt sich in isolierten Leitungen transportieren, die durch die Hochspannung nicht beeinflusst werden.

 

Derzeit arbeiten die Forscher an einem System basierend auf einer kommerziellen Gasturbine mit einer Leistung von fünf Kilowatt. Um es zu erproben, haben die Experten am HIM einen Elektronenkühler-Teststand aufgebaut. Bei einer Spannung von 17.000 Volt konnten sie bereits zeigen, dass die Energierückgewinnung mit hoher Effizienz funktioniert. Der Strahl lässt sich gut kontrollieren, im Schnitt geht nur eines von zehn Millionen Elektronen verloren.

 

Derzeit bauen die Physiker ein Modul, das bei einer Hochspannung von 600.000 Volt läuft und über eine Energieversorgung basierend auf Turbinen verfügt. Für den Aufbau und den Test dieser Module wird die Experimentierhalle des HIM verwendet. Einen anderen Abschnitt dieses großen Experimentierareals nutzen übrigens auch die Universität Mainz und das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung zur Montage supraleitender Beschleunigermodule, zum Beispiel für MESA. So heißt ein neuer Elektronenbeschleuniger für die Teilchen- und Hadronenphysik, der derzeit im Rahmen der Exzellenzinitiative entsteht.

 

2025 soll der HESR-Ring bei FAIR in Darmstadt loslegen. Anfangs werden die Experimente noch ohne Elektronenkühlung laufen. Später dann ließe sich die Anlage mit dem Elektronenkühler des HIM nachrüsten – und dadurch die Leistungsfähigkeit des Beschleunigers sowie die experimentelle Ausbeute bei PANDA deutlich steigern.

 

Prof. Dr. Kurt Aulenbacher

Helmholtz Institut Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
Raum 02-105

 

Telefon: +49 6131 39-25804
E-Mail: aulenbac(at)kph.uni-mainz.de

Dr. Winfried Barth

Helmholtz Institute Mainz
Staudingerweg 18
D-55128 Mainz
Raum 01-105

 

Telefon: +49 6131 39-29217
E-Mail: w.barth(at)gsi.de